Zeitzeugen aus Oldisleben und Umgebung

„…die 80 Profibands und 5000 Amateurbands, Made in GDR. Spannender Bandalltag aus den 80er Jahren einer ganz normalen Amateurrockband aus Thüringen“. amazon-Text. Heute gibt es gemäß offiziellen Denkvorschriften in Ostdeutschland viel mehr und bessere Amateurbands – weil ja alles generell besser wurde, besonders die Feierkultur.

The Dream behind the Wall: Eine Story aus dem Lebens eines DDR-Amateurmusikers Taschenbuch – 1. Juni 2019/amazon

 Einfach genial – die Story über eine unbekannte Band aus der Provinz der ehemaligen DDR. Anleitung für Bandgründer. Eine junge Coverband im Schatten der DDR-Rockmusikszene, die 80 Profibands und 5000 Amateurbands, Made in GDR. Spannender Bandalltag aus den 80er Jahren einer ganz normalen Amateurrockband aus Thüringen. Keine Erfolgsstory der großen Stars der Musikgeschichte, sondern die fantastische Geschichte des Provinzstars zwischen Groupies, versifften Toiletten, starrsinnigen Funktionären, Wünschen, Träumen, Hoffnungen. Abseits des eintönigen DDR-Alltags pulsierte das Leben der Jugend.

Roßleben:

“The Tigers” an der EOS:

In den sechziger Jahren gab es an der Goethe-Oberschule eine Jugendband, die sich “The Tigers” nannte und an den Wochenenden in den Sälen der umliegenden Dörfer im Rahmen der FDJ-Jugendarbeit zum Tanz aufspielte(der Autor saß am Klavier). Eine selbstgezeichnete Din-A-4-Schwoofanzeige der “Tigers” irgendwo in der Kreisstadt Artern angeklebt und eine weitere vor Ort – und die Säle waren rammelvoll. Zu über 90 Prozent gab es abwechselnd die tanzbarsten Titel der Beatles und Rolling Stones, die Stimmung war riesig und teilweise direkt ekstatisch – entsprechend der DDR-üblichen Feierkultur. Die Jungens gingen ran, den Mädchen war das sehr recht – Ordner, gar Sicherheitsleute, so wie heute, völlig unnötig.

Bei einem Schwoof im heute noch existierenden Volkshaus von Donndorf entspann sich – begleitet von Beatles-und Stones-Musik – eine Saalschlacht zwischen Jungen verschiedener Dörfer um die Mädchen, Stühle und Tische flogen. Die Band(und wohl auch der FDJ-Sekretär?) überlegten kurz – stoppen oder weiterspielen? Natürlich wurde weitergespielt – nach gewisser Zeit hörte die Rauferei auf, ohne ernsthaft Verletzte(nur blaue Flecke), es flossen weiter Bier(und Kali) zu tierischen Niedrigpreisen in Strömen, alles hottete weiter wie wild. Eine filmreife Szene – noch dazu von oben, von der Bühne beobachtet. Filmreif auch ein Auftritt im Volkshaus von Gehofen mit unvorhergesehen vorzeitigem Ende: “The Tigers” spielten “Satisfaction”, das Publikum tanzte stampfend – drängte sich nach Titelende begeistert vor der Bühne und schrie im Chor zu den Musikanten hoch: Noch mal “Satisfaction – wir geben sonst keine Ruhe! Die Tiger von der Goethe-EOS taten wie befohlen – nur forderten  die Massen nach Titelende mit gleichem Nachdruck eine zweite Zugabe – und bekamen sie auch. Genau unterm Saal war indessen die Gaststube, die Satisfaction-Stampferei oben brachte die Biergläser auf den Tischen zum Schwingen(Hüpfen?), die Sonnabend-Stammgäste –  wohl größtenteils LPG-Bauern, hatten bald die Faxe dicke, riefen den ABV. Als der oben in der Saaltür erschien, wußte die Band sofort, was die Glocke geschlagen hatte, brach ab und tigerte fluchtartig durch den Hinterausgang hinaus, schwang sich mit Gitarren unterm Arm auf Kleinkrafträder wie den “Star”, verschwand in dunkler Nacht. Ein netter Taxifahrer, der immer kostenlos die wenige Band-Technik transportierte, lud alles ein, machte sich ebenfalls davon. Wer damals dabei war, weiß, daß die heutigen Berichte/Dokus von Kolonialsendern, Kolonialblättern in Thüringen/ganz Ostdeutschland über diese Facetten der DDR-Kultur fast durchweg realitätsfremd bis schlichtweg erlogen sind. 

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 20. April 2022 um 11:28 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Allgemein abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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