Zeitzeugen aus Oldisleben und Umgebung

„DDR-Krimi von innen und von außen“. Autor Hartmut Mechtel und die Criminale im Mai 2018. „Es gibt (mangels DDR) keinen DDR-Krimi mehr. Aber es gibt (noch) Autoren, die in der DDR geboren und sozialisiert wurden oder aus anderen Gründen im Gebiet der ehemaligen DDR leben. Und Bücher, die in der DDR spielen. Klar, als Horrorkulisse kann und wird die DDR sicher reüssieren. Hinter jedem Busch lauert ein Stasi-Spitzel, wer einen politischen Witz erzählt, wird eingesperrt, Ossis wissen nichts von der Welt und sind daher rassistische Nationalisten. Das erfährt man aus den Massenmedien, also wird es auch im Krimi seinen Platz finden.“

Freitag, 10. Juli 2020 von Klaus Hart

DDR-Krimi von innen und von außen

Vortrag mit Fragerunde auf der Criminale im Mai 2018

Die Criminale ist das einwöchige Treffen des Syndikats, der Vereinigung deutschsprachiger Kriminalschriftsteller (Deutschland, Österreich, Schweiz). Sie findet alljährlich statt, stets in einer anderen Stadt oder Region. 2018 war Halle der Ort, in dem sich Schreiber und Leser begegneten. Eine der öffentlichen Veranstaltungen war dem DDR-Krimi gewidmet. Hartmut Mechtel, Krimiautor und Literaturkritiker, referierte zum Thema, strukturiert durch Fragen der Ruhrgebietsautorin Almuth Heuner, und beantwortete Publikumsfragen. Nachfolgend ein Auszug.

H.M.: Ich stamme aus Deutschland, das es – zwar besetzt, aber immerhin – noch gab, als ich geboren wurde; die Bundesrepublik wurde 2 1/2 Monate nach meiner Geburt gegründet, die DDR sogar erst 7 Monate danach. Da war ich als Potsdamer dann auf deren Territorium, was zunächst wenig Bedeutung hatte. Eine Tante wohnte in Westberlin, der beste Freund meines Vaters, den ich Onkel nannte, auch; am 12. August 1961 war ich in Westberlin im Kino, nicht zum ersten, aber zum letzten Mal für 28 Jahre. Ich studierte Journalistik, arbeitete meine drei Pflichtjahre bei einer Zeitung ab und wurde dann freischaffender Literaturkritiker, arbeitete hauptsächlich als Gutachter für Verlage. Außerdem war ich Mitbegründer eines Off-Theaters, doch das mag hier außer Betracht bleiben. Meinen ersten Krimi schrieb ich 1960 – mit 11 Jahren. Das erste Buch, das gedruckt wurde, war auch ein Krimi; das war 1986. Ein Jahr später folgte der zweite; der dritte (von 1988) war zu frech und erschien erst 1991, so dass zu DDR-Zeiten nur zwei Krimis von mir erschienen sind, im vereinigten Deutschland erschienen 11. Trotzdem gelte ich als DDR-Autor, und für meine ersten sechs Bücher (von denen drei kurz nach der Wende spielen) mag das auch stimmen.

Frage: Was ist eigentlich ein „DDR-Krimi“?

H.M.: M.E. einer, der in der DDR geschrieben wurde (auch wenn er nicht oder erst später erschienen ist). DDR-Krimis konnten auch im Ausland spielen und blieben DDR-Krimis.

Frage: Waren die denn wirklich alle sozialistisch?

H.M.: Viele wollten es sein, gerade in den frühen Jahren; sie sollten und wollten erziehen; man ging davon aus, dass das Verbrechen im Sozialismus ausstirbt; Verbrechen geschahen wegen der Überreste bürgerlichen Denkens in den Köpfen; immerhin gab es Verbrechen im real existierenden Sozialismus, und da sich Krimis mit negativen Seiten der Persönlichkeit und damit auch mit negativen Seiten der Gesellschaft befassen, waren sie bei aller chiliastischen Hoffnung auf die totale Entkriminalisierung und bei aller Verklärung der sozialistischen Ermittlerpersönlichkeiten immer – auch gegen den Erziehungsauftrag und zuweilen gegen den erklärten Willen der Autoren – realistisch.

Frage: Zwischen den Zeilen lesen – wie hat man das gelernt? Woher wusste man, wann und wie man das machen musste? Welche typischen Chiffren („Codewörter“) gab es wofür?

H.M.: Man hat auch schizophren gedacht. In der Schule lernten wir, wie toll der Sozialismus war, in der Christenlehre, wie toll Jesus ist; oder man las und sah nicht nur die DDR-Produkte, sondern eingeschmuggelte Bücher, und das Westfernsehen war allgegenwärtig. Chiffren oder Codewörter gab es nicht, jedenfalls nicht im Krimi, und falls es sie doch gegeben haben sollte, hat man es versäumt, mir das mitzuteilen. Die Metaphorik in der DDR funktionierte anders. Wenn in den Büchern Polizisten mit redlich sozialistischer Gesinnung agierten und die Bürger anagitierten, so waren es doch Bücher über unperfekte Menschen in einer durch sie geprägten unperfekten Umgebung, also waren selbst die Holzhammerkrimis der 50er Jahre auch gesellschaftskritisch. In gewisser Weise ersetzten Krimis die Presse, die zum Verschweigen und Schönfärben neigte; auch wenn die Fälle frei erfunden waren, gab es doch eine Art Öffentlichkeit für Verbrechen und die Mängel der Gesellschaft. Und dann gab es noch den Trick, das angesehene Opfer post mortem madig zu machen und ihm ein armes Schwein von Täter gegenüberzustellen, mit dem man mitleiden konnte und bei dem es am Ende fast schon tragisch ist, dass er erwischt wird.

Dass angesehene Persönlichkeiten ermordet wurden und herauskam, dass sie gar nicht die Vorbilder waren, die man zu Lebzeiten in ihnen sehen wollte, kam erst in in den 80ern häufiger vor; Beispiele sind Heiner Ranks „Der bengalische Tiger“ (1987) – da ist das Opfer ein angesehener Schauspieler, Nationalpreisträger, beim Publikum durchaus beliebt, im privaten Umgang ein sadistisches Arschloch; der Täter ist ein von ihm lebenslang gequältes Familienmitglied. Oder bei mir in „Unter der Yacht“ – das Opfer ist ein hoher Wirtschaftsboss, der für seinen Aufstieg zum Kombinatsdirektor Existenzen vernichtete, also über Leichen ging, wobei er natürlich nie Hand anlegte, sondern die Ideologie als Waffe nutzte; der Täter ist der Sohn eines Mannes, der einst vom Direktor durch Existenzvernichtung in den Selbstmord getrieben wurde (1988). Und dann gab es noch Krimis, die in einer dystopischen Zukunft spielten; als Beispiel seien hier die zu zwei Romanen gebündelten Erzählungen von Gert Prokop über Fälle des zwergenwüchsigen amerikanischen Privatdetektivs Timothy Truckle erwähnt: „Wer stiehlt schon Unterschenkel?“ und „Der Samenbankraub“. Die spielen deutlich in einem Amerika der Zukunft, der Detektiv der Oberklasse hat gar Verbindungen zum kommunistischen Widerstand bzw. zum sozialistischen Ausland, an der Oberfläche und nicht nur dort sind es antikapitalistische Krimis, aber die totale Überwachung, die darin geschildert wird, wurde vom verständigen Leser auch als Metapher für die hausgemachte Stasi-Überwachung verstanden. Damals ahnten wir freilich nicht, dass die NSA, die CIA, das FBI und Homeland Security nur 30 Jahre später mit der Überwachung fast schon so weit sind wie ihre antizipierten Pendants in Prokops Dystopie und dass die Stasi dagegen regelrecht gemütlich wirkt.

Was die Leser von der Metaphorik der Bücher verstanden, war natürlich von ihrer individuellen Aufnahmefähigkeit und auch von ihrer Weltsicht abhängig, doch die meisten bekamen wohl mit, dass Krimis mehr Wahrheiten enthielt als die Realitätsbrosamen in der Tagespresse. Und nahmen die agitatorischen Passagen als notwendigen Tribut hin – bis zur Wende; dann waren sie auf einmal unverzeihlich und der ideale Kommissar nichts weiter als eine rote Socke.

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Wie westliche Demokratie funktioniert: “Trump wollte Assad töten lassen”. Tagesschau, 16.9. 2020 zum Völkerrechtsbegriff der NATO-Staaten. Wegen immer strengerer Zensurvorschriften dürfen deutsche Staats-und Mainstreammedien in der Nawalny-Affäre nicht einmal an NATO-Giftattentate auf Staatschefs wie Fidel Castro erinnern. Ausnahmen bestätigen die Regel…”Der US-Geheimdienst CIA hat 1960 zwei der meistgesuchten Verbrecher des Landes angeheuert, um den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro vergiften zu lassen.” Deutsche Welle über Politik & organisiertes Verbrechen in der neoliberalen Demokratie. “CIA setzte Mafiakiller auf Castro an”. FAZ:http://www.hart-brasilientexte.de/2020/09/16/wie-westliche-demokratie-funktioniert-trump-wollte-assad-toeten-lassen-tagesschau-16-9-2020-zum-voelkerrechtsbegriff-der-nato-staaten-wegen-immer-strengerer-zensurvorschriften-duerfen-deutsch/

https://www.focus.de/politik/hilfeschrei-ging-durch-mark-und-bein-der-held-von-gera-36-jaehriger-mann-stoppt-messer-angreifer-und-rettet-opfern-leben_id_12194757.html

Zeit der Polarisierungen: In Thüringen trifft man selbst in Supermärkten 2020 Personen, die T-Shirts mit großem DDR-Emblem, großem Schriftzug DDR tragen. Zur Begründung heißt es kurz: “Scheiß-Westen. Wir müssen zeigen, wo wir herkommen.” Die Personen waren offenkundig zu DDR-Zeiten noch nicht erwachsen. https://www.bw-online-shop.com/t-shirt-ddr.html

Tabuthemen ohne Ende – im Thüringer Landtag muckst sich nicht mal die AfD, Ex-Bürgerrechtler wie Roland Jahn gleich garnicht: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/12/14/brasiliens-folterdiktatur-abschlusbericht-der-wahrheitskommission-2014-auffalliges-schweigen-deutschsprachiger-medien-zum-thema-foltertechnologie-folterinstrukteure-aus-der-bundesrepublik-deutschla/

http://www.zeitzeugen-oldisleben.de/2019/08/18/ddr-mauerfall-jubilaeum-2019-und-die-boomende-alternativenicht-staatlich-gelenkte-erinnerungskultur-unsere-ddr-einfach-unvergessen-ac-distribution-marketing-gmbh-berlin/.

Organisiertes Verbrechen – lukrativster Zweig der neoliberalen Wirtschaft – von den Machteliten und ihren Politmarionetten entsprechend gefördert – nun auch im Osten:http://www.hart-brasilientexte.de/2019/11/25/beuteland-die-millionengeschaefte-krimineller-clans-ard-doku-2019-was-wir-der-merkel-groko-den-kriminellen-deutschen-machteliten-verdanken-was-diese-unter-kulturbereicherung-vers/

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Ein Denkmal für Dorothea Kleine, DDR-Krimi-Autorin. In “Wende-Krimis” analysiert sie exzellent die soziokulturellen, politischen, wirtschaftlichen Veränderungen nach der feindlichen Übernahme/Annektion, liefert interessante Beiträge zum Thema Ost-Identität:http://www.zeitzeugen-oldisleben.de/2020/07/15/ein-denkmal-fuer-dorothea-kleine-ddr-krimi-autorin-in-wende-krimis-analysiert-sie-exzellent-die-soziokulturellen-politischen-wirtschaftlichen-veraenderungen-nach-der-feindlichen-uebernahmeann/

 

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