Ausriß.
https://www.jungewelt.de/artikel/340638.verfassungsschutz-ein-klassischer-beamter.html
…In einem auch von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung übernommenen Beitrag vom 11. September wurde dabei an Hubert Schrübbers erinnert, welcher der Behörde zwischen 1955 und 1972 vorstand: »Erst zum Ende seiner Amtszeit«, hieß es da, »wurde seine Verwicklung in die NS-Justiz zum Thema. Als Staatsanwalt hatte er 1941 bewirkt, dass die Jüdin Anna Neubeck zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Sie hatte als Emigrantin in Brüssel Geld und Essen von der ›Roten Hilfe‹ angenommen und sich mit anderen Flüchtlingen ausgetauscht. Anna Neubeck starb im Konzentrationslager Auschwitz.«
Der 1907 geborene Schrübbers war wie Maaßen Jurist. Auch er »klassischer Beamter, der den Dienst da tut, wo er hingestellt wird«. Am 7. Juni 1933 hatte sich Schrübers als Mitglied dem SA-Sturm 3/13 in Münster angeschlossen. Später trat er dem Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund (NSRB) bei. Mitte Juni 1939 war er im Alter von 31 Jahren von Reichsjustizminister Franz Gürtner zum Assessor auf Lebenszeit ernannt worden. Von 1938 bis 1941 diente er als Staatsanwalt in Bochum, Dortmund, Arnsberg, dann als Oberstaatsanwalt beim OLG Hamm. Wie Recherchen von Dirk Laabs und Stefan Aust in ihrem Buch »Heimatschutz: Der Staat und die Mordserie des NSU« nachweisen, wurde Schrübbers danach als Unterwachtmeister zu einer Polizeieinheit der SS eingezogen. Von diesen Einheiten waren unter anderem Konzentrationslager bewacht worden, und sie waren vor allem gegen Kriegsende für Strafaktionen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten verantwortlich. Nachdem Schrübbers 1944 im französischen Chaumont (Haute-Marne) in Kriegsgefangenschaft geraten war, wurde er vom britischen Geheimdienst angeworben, was seiner späteren Karriere in der BRD sicherlich dienlich war. Nach Stationen beim Bundesgerichtshof und als Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Düsseldorf wurde Schrübbers am 1. August 1955 zum zweiten Präsidenten des BfV berufen.
In einem wenige Wochen zuvor veröffentlichten Porträt hatte das Hamburger Abendblatt die »starken Nerven und eine durch nichts zu erschütternde Ruhe« dieses mit einem »glücklichen Naturell« gesegneten Rheinländers, das »große fachliche Wissen« und die »reiche Erfahrung im Justizwesen« gelobt, die Schrübbers zum »richtigen Mann (…) für das manchmal etwas übereifrige Bundesamt für Verfassungsschutz« machten. Bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand am 30. April 1972 stand der Jurist 17 lange Jahre an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes – keiner übte dieses Amt bisher länger aus als er.
Schrübbers trat seinen Posten etwa ein Jahr nach dem spektakulären Abgang Otto Johns an, der im Juli 1954 überraschend in der DDR aufgetaucht war. John, der im Widerstand des 20. Juli aktiv gewesen war, warnte aus intimer Kenntnis in öffentlichen Ansprachen vor einer Renazifizierung und Militarisierung der BRD. Dort würden die »wildesten Nazis« wieder hoffähig gemacht, erklärte er auf einer Pressekonferenz in Ostberlin und nahm dabei besonders die FDP, das Amt Blank (die Vorläuferinstitution des Verteidigungsministeriums) und die »Organisation Gehlen« (aus der der Bundesnachrichtendienst hervorging) in den Blick. In deren »großen Mitarbeiterstäben (arbeiteten) SD- und SS-Führer, die über deutsche Widerstandskämpfer zu Gericht gesessen oder diese einfach umgebracht haben. Im Amt Blank und in der Organisation Gehlen werden alle die beherbergt, die mit Hitler bis zum bitteren Ende gekämpft haben und noch nicht in den Vordergrund treten können und auch gar nicht wollen, solange ihnen das Recht nicht zuerkannt wird, ihre Hitler-Orden wieder anzulegen. Widerstandskämpfer sind in diesen Reihen als Eidbrecher verfemt«. (ND vom 12.8.1954)
John, gewissermaßen ein Whistleblower avant la lettre, hätte bei dieser Gelegenheit auch auf die Personalsituation in dem von ihm geleiteten BfV verweisen können. Alle drei Referate der Behörde – Linksradikalismus, Spionage und Rechtsradikalismus – wurden von ehemaligen Abwehragenten, Gestapobeamten, SS-Männern oder Staatsanwälten, die im Nazireich Karriere gemacht hatten, geleitet, darunter Werner Gerkens, Lorenz Bessel-Lorck und Günter Nollau. Sicherheitschef war der ehemalige Nazistaatsanwalt Ernst Brückner, zuständig für die Überprüfung von Mitarbeitern vor deren Einstellung. Albert Radke, seit 1950 Vizechef des Amtes, Vertrauter Reinhard Gehlens und ein ehemaliger Wehrmachtsverbindungsoffizier zur Gestapo, hatte ein in sich geschlossenes System der Nazirekrutierung im BfV etabliert. Der angebliche »Schutz der Verfassung« lag in den Händen ehemaliger Nazis…Als dann der Spiegel, wie erwähnt, im Sommer 1963 aufdeckte, dass 25 frühere Gestapo-, SS- und SD-Beamte sowie Mitglieder der Waffen-SS im BfV auf hochrangigen Posten arbeiteten, von denen 16 als besonders belastet galten, rutschte dem unter Druck geratenen Bundesinnenminister Hermann Höcherl die Bemerkung raus: »Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.« Der Journalist Theo Sommer antwortete damals: »Unter diesen Verfassungsschützern aber sind Leute, die den ganzen Tag zwar nicht mit dem Grundgesetz, wohl aber mit der SS-Blutgruppen-Tätowierung unterm Arm umherlaufen.« (Zeit vom 13.9.1963)…
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Peter Ensikat, “in den achtziger Jahren der meistgespielte Theater-und Kabarettautor der DDR”, über BND und Verfassungsschutz. “Ich verlange die Offenlegung der geheimen, nicht legalen Machenschaften von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst und die Entlassung der dort Beschäftigten in die Produktion. Wer darüber lachen wird? Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst”. Aus dem Ensikat-Buch “Ab jetzt geb´ich nichts mehr zu. Nachrichten aus der neuen Ostprovinz”. Knaur, 1996.
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Verfassungsschutz in Thüringen:
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